Bielefeld/Berlin, 29. November 2007. Am gestrigen Abend wurde in Berlin das Kuratorium für das im Februar dieses Jahres an der Bielefelder Fachhochschule des Mittelstands (FHM) gegründete Nationale Zentrum für Bürokratiekostenabbau berufen. Den Vorsitz des Gremiums übernimmt der 1. Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Dr. Norbert Röttgen. Zeitgleich wurde eine erste Probemessung nach dem Standardkosten-Modell (SKM) vorgelegt, die die Hochschule in den vergangenen vier Monaten gemeinsam mit der Stadt Bünde (Westfalen) durchgeführt hatte. Zentrales Ergebnis: Nach bisherigen Schätzungen verbringen kommunale Beamte 10 Millionen Stunden pro Jahr mit der Erfüllung von Pflichten, die die Kommunen nicht betreffen, und die Personalkosten belaufen sich auf über 500 Millionen Euro für alle Kommunen in Deutschland.
Anlass für die Bekanntgabe der Ergebnisse war die Berufung des Kuratoriums des Nationalen Zentrums für Bürokratiekostenabbau. Den Vorsitz des Kuratoriums übernahm Dr. Norbert Röttgen. Dem Gremium, dessen stellvertretender Vorsitzender der früherer SPD-Justiz-Staatssekretär in der NRW-Landesregierung Dieter Schubmann-Wagner ist, gehören darüber hinaus zahlreiche prominente Politiker, Wissenschaftler und Wirtschaftsvertreter an, die sich bereits langjährig für den Abbau von Bürokratie eingesetzt haben. Dazu zählen u.a. die früheren Landesminister Herbert Helmrich und Barbara Richstein, der BDA-Hauptgeschäftsführer Reinhard Göhner, die Rechtsprofessoren Klaus Finkelnburg und Philip Kunig sowie der Leiter der Abteilung Bürokratiekostenabbau im niederländischen Finanzministerium, Jeroen Nijland. Ihm obliegt dort die Durchführung des Bürokratiekostenabbaus nach dem Standardkosten-Modell (SKM), das in den Niederlanden entwickelt worden ist und inzwischen weltweit als beste Methode zur Ermittlung und zum Abbau von Bürokratiekosten gilt.
Eine aus der ersten Untersuchung der FHM und der Stadt Bünde abgeleitete Prognose ergibt für die deutschen Kommunen eine Belastung von über 10 Millionen Arbeitsstunden jährlich, die zur Erfüllung von gesetzlichen Informationspflichten gegenüber Bund und Ländern aufgewendet werden müssen. Diese haben jedoch nichts mit den eigentlichen Aufgaben der Kommunen im Verhältnis zu ihren Bürgern zu tun. (Zum Vergleich: Der jährliche Unterrichtsausfall an den Schulen in NRW im Schuljahr 05/06 betrug 2,8 Millionen Unterrichtsstunden). Hierdurch werden die kommunalen Haushalte insbesondere im Personalbereich mit über 500 Millionen Euro belastet. Als besonders negatives Beispiel wurde das Agrarstrukturgesetz des Bundes genannt, auf dessen Grundlage kommunale Bedienstete regelmäßig "ausgeschickt" werden müssen, um für den Bund und die EG Daten über den Bestand von Vieh und Obstbäumen oder andere landwirtschaftliche Bereiche zu ermitteln.
Die Pilotuntersuchung der FHM, bei der erstmals die SKM-Methode "Quickscan" für eine Kommune als Betroffene angewendet wurde, ergab für die Stadt Bünde Personalkosten von über 90.000 Euro jährlich für die Erfüllung gesetzlicher Berichtspflichten. Davon stammen rund 20% der Pflichten aus Bundesgesetzen, rund 80% aus Landesrecht. Der Zeitaufwand, so Bürgermeisterin Kleine-Döpke-Güse, betrage allein für ihre Stadt mit circa 48.000 Einwohnern rund 2.000 Arbeitsstunden. Das sei wertvolle Zeit, die anderswo dringender gebraucht werde. Die tragischen Vorfälle aus jüngerer Zeit seien nicht nur persönlichem Versagen Einzelner zuzurechnen, sondern zeigten auch, dass kommunale Dienstellen wie etwa die Jugendämter mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben benötigten. Nach Auffassung von Prof. Klippstein, der selbst vor seiner Berufung an die FHM Bürgermeister der Stadt Herford war, sei es "ein offenes Geheimnis, dass viele Kommunen schon lange nicht mehr in der Lage sind, auch nur alle Pflichtaufgaben angemessen zu erfüllen". Ganz hart träfe es aber die eigentlichen kommunalen Selbstverwaltungsaufgaben. Diese würden oft nur noch symbolisch betrieben.
Die FHM Bielefeld will die Prognose nunmehr in Form einer wissenschaftlichen Untersuchung verifizieren, an der sich neben dem Kreis Lippe in Nordrhein-Westfalen auch die Städte Freiburg und Baden-Baden in Baden-Württemberg beteiligen wollen. Die FHM begründet ihr Vorgehen damit, dass der mehrfach seitens der kommunalen Spitzenverbände an die Bundesregierung herangetragene Wunsch, die Kosten kommunaler Berichtspflichten schnell auf der Grundlage des Standardkosten-Modells zu ermitteln, bisher nicht mit dem entsprechenden Nachdruck verfolgt worden sei.