Zurückhaltung in Kernfragen | Die Angst vor polnischem Atomreaktor an der Grenze wächst – die Landesregierung bleibt diplomatisch

21.07.2006, 10:32 Uhr

Potsdam - Nachdem sich Polens neuer Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski in seiner ersten Regierungserklärung offen für die Nutzung der Kernenergie ausgesprochen hat, wächst in Brandenburg die Sorge vor dem Bau eines Atomkraftwerkes unweit von Schwedt.

Gegenüber dem Tagesspiegel mahnte Innenminister und Vize-Regierungschef Jörg Schönbohm (CDU) am Donnerstag trotzdem zur Zurückhaltung. „Polen ist ein souveräner Staat. Öffentliche Vorwürfe wären falsch“, sagte Schönbohm, der in Vertretung von Matthias Platzeck derzeit amtierender Ministerpräsident ist. „Wir sollten versuchen, Polen in stiller Diplomatie klar zu machen, was diese Pläne für gutnachbarschaftliche Beziehungen bedeuten würden.“ Er erinnerte daran, dass Deutschland mit seinem Atomausstieg im internationalen Maßstab eher zu den Ausnahmen gehöre, wie sich auch auf dem jüngsten G8-Gipfel gezeigt habe. Nötig seien Besonnenheit und Sachlichkeit, zumal sich die Pläne Polens in einem Frühstadium befänden.

„Die Polen sind ein stolzes Volk. Wir sollten vermeiden, uns als Oberlehrer und Besserwisser aufzuspielen“, sagte auch Umweltminister Dietmar Woidke (SPD). Die Landesregierung nehme die Signale aus Polen und die Sorgen in der Uckermark vor einem Atomkraftwerk in der Nachbarschaft ernst. Nach polnischen Medienberichten ist für ein Atomkraftwerk der Standort Gryfino etwa 25 Kilometer nordöstlich von Schwedt in der engeren Wahl. Allerdings hat Polen bereits klargestellt, dass es vor 2020 keine Kernkraftwerke geben wird. Woidke bekräftigte zugleich das „klare Nein“ der Brandenburger Landesregierung zu den polnischen Plänen. Sollte Polen tatsächlich ein Kernkraftwerk in Grenznähe errichten, sei Brandenburg nach geltendem EU-Recht „zwangsläufig“ im Planverfahren zu beteiligen. „Wir würden unsere Ablehnung dort vorbringen.“ Er setze aber darauf, die polnische Seite mit Argumenten zu überzeugen, etwa dem, dass die Uranvorräte weltweit nur noch fünfzig Jahre reichen würden. Es sei verständlich, dass Polen seine Energieversorgung wegen steigender Öl- und Gaspreise unabhängiger machen will, so Woidke. „Trotzdem, es gibt Alternativen zur Kernenergie.“ Er nannte nachwachsende Rohstoffe, für die es in Polen mit seinen großen Flächen ähnlich gute Voraussetzungen wie in Brandenburg gebe.

Im Landtag wird ein Reaktor in Grenznähe einhellig abgelehnt. Die PDS erinnerte an Tschernobyl. Der SPD-Abgeordnete Mike Bischoff aus der Uckermark prophezeite „erhebliche Proteste“. Die europapolitische Sprecherin der CDU-Fraktion und frühere Europaministerin Barbara Richstein forderte die Landesregierung auf, in Polen „auf Klarheit zu drängen, was Sache ist.“ Sie erinnerte daran, dass die Regierung kürzlich noch erklärt habe, ihr seien keine polnischen Atomkraftpläne bekannt: „Die gelobte brandenburgisch-polnische Freundschaft scheint nicht für Reaktorfragen zu gelten.“